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"Die Bedeutung der Aves Engine für den Browserspielemarkt wird immens sein"

"Die Bedeutung der Aves Engine für den Browserspielemarkt wird immens sein"

Ein traditionelles PC-Spiel ohne Engine? Nahezu undenkbar! Die Browserspiele-Industrie hingegen sei noch auf dem Stand von vor 10-15 Jahren und müsse im Bereich der Middleware dringend nachlegen, so Rocco Di Leo und Paul Bakaus. Im Interview auf der Games Convention Online haben uns die Gründer der Dextrose AG mehr über ihre Vision und ihr Projekt verraten.

GalaxyNews: Hallo Rocco, hallo Paul. Ihr präsentiert auf der diesjährigen GCO eine der jüngsten Firmen, die Dextrose AG. Wie kamt ihr Ende letzten Jahres dazu, eine Aktiengesellschaft zu gründen?

Rocco Di Leo ist CEO der Dextrose AG, die er Ende 2009 gegründet hat. Zuvor war er bereits über zehn Jahre im Web- und Gamebusiness tätig.

Rocco: Ich hatte gerade die Neuprogrammierung von golffriends.com als gewöhnlicher Selbständiger beendet. Für meine Zukunftspläne wollte ich eine Kapitalgesellschaft gründen, da ich diesmal auch einige sehr kapitalintensive Projekte stemmen wollte und dafür eine entsprechende Unternehmensstruktur benötigte.  Die Aktiengesellschaft ist eine sehr interessante Gesellschaftsform, die gegenüber der üblichen GmbH allerdings einige Gründungshürden und strenge Auflagen mit sich bringt.  Gegenüber potentiellen Partnern und Investoren spielt die Aktiengesellschaft allerdings auf verschiedenen Ebenen ihre Stärken aus, sei es in der einfachen Handhabe der Beteiligungen oder auch nur die tendenziell seriösere Außenwirkung.


Paul: Ich hatte mit den Gründungsformalitäten Gott sei Dank nicht‘s am Hut und konnte mich kurz danach direkt in das gemachte Nest setzen. :-)


Paul Bakaus ist CTO der Dextrose AG. In der Frontend-Entwicklung bekannt wurde er als jQuery-Teammitglied und Schöpfer von jQuery UI.

GalaxyNews: Als Aves Engine bezeichnet ihr das Projekt, mit dem ihr den Browserspielemarkt grundlegend aufrütteln wollt. Was kann sich ein Nicht-Programmierer unter solch einer Browsergames-Engine vorstellen?


Rocco: In der PC- und Konsolenwelt wird heute kein Hitspiel mehr ohne eine sogenannte Middleware produziert, prominente Beispiele wären hier etwa die Unreal Engine von Epic oder die CryEngine von Crytek. Middleware oder auch Game Engines beinhalten praktisch einen Baukasten an gelösten Problemen, Komponenten und Tools,  die ein Programmierer verwenden kann, um relativ schmerzfrei Spiele zu erstellen. Braucht man etwa Physik in einem Spiel, aktiviert man eine entsprechende Komponente, braucht man eine 3D-Karte oder einen Welteditor, wird das alles mitgeliefert. Das bedeutet letztlich, dass sich Spielprogrammierer zusammen mit Spieldesignern voll und ganz auf die eigentlich Logik konzentrieren können und sich nicht mehr damit herumschlagen muss wie überhaupt die Anforderungen technisch gelöst werden können.



Paul: In der jungen Browsergames-Industrie ist man noch auf dem Stand der traditionellen Spieleindustrie von vor etwa 10-15 Jahren, als alles noch von Hand gemacht wurde. Bei den qualitativen Erwartungen und der Komplexität heutiger Spiele ist das aber der falsche Weg. Das lernen die Browsergames-Studios gerade. Das geht bei einem starken Qualitätsgefälle zwischen den einzelnen Games los und hört bei dem Problem auf, dass nicht genug professionelle Programmierer im Markt gefunden werden können, die technisch hochklassige Browserspiele „from Scratch“ programmieren können.



Rocco: Richtig, und mit der Aves Engine bieten wir erstmals ein solches Middleware-Konzept für professionelle Browsergames an. Wir gehen sogar soweit, dass wir behaupten, dass die Bedeutung der Aves Engine für den zukünftigen Browsergamesmarkt immens sein wird. Wir setzen bewusst auf offene Standards und verzichten auf Plugins wie Flash oder Unity und können damit mit dem gleichen Programmcode nicht nur jede Plattform mit einem modernen Browser erreichen, auch sind dadurch viele interessante Gestaltungsmöglichkeiten gegeben, die in Flash etwa nur schwer umsetzbar sind.



GalaxyNews: Welche technischen Entwicklungen der letzten Jahre gaben euch die Gewissheit, dass Browserspiele reif für spezialisierte Middleware sind?



Paul: Eigentlich muss man die Frage in zwei Teilen beantworten. Gerade in den letzten zwei Jahren hat sich bei den Browsern einiges getan. HTML5 sorgt dafür, dass wir endlich nativen Audio und Video Support bekommen haben, CSS3 lässt uns Elemente rotieren und perspektivisch verzerren und die Ausführung von JavaScript ist mit hochspezialisierten Rendering-Engines wie Google‘s V8 sehr viel schneller geworden. Die Gewissheit, dass Browserspiele reif für spezialisierte Middleware sind, erschließt sich von der Umkehrung: Gerade weil wir in den letzten Jahren keine technische Evolution bei Browserspielen trotz neuer technischer Errungenschaften entdecken konnten, wollen wir etwas ändern.



Rocco: Uns spielte noch in die Hände, dass die großen Drei, sprich Google, Microsoft und Apple sich zu offenen Standards und damit zu einer kurzfristigen mehr oder weniger vollständigen Implementierung der neuen Webstandards in deren Browser bekannt haben. Adobe Flash oder auch Microsoft Silverlight würde dafür mehr oder weniger geopfert. Das merkt man insbesondere im Smartphone-Markt, wo beide Plugins irrelevant sind.



GalaxyNews: Wo liegen die Stärken der Aves Engine, wo gab es Probleme bei der Pionierarbeit?



Paul: Tatsächlich liegen unsere Stärken speziell im Frontendbereich. So schaffen wir es zum Beispiel, ein Spiel im Browserfenster auf eine fast beliebige Größe zu maximieren, ohne in nennenswerte Performanceprobleme zu steuern, was ein übliches Problem bei vielen Flash-Spielen darstellt. Performance ist ohnehin das zentrale Thema der Aves Engine. Webentwickler, und das sind die meisten Browsergames-Entwickler, scheren sich bis jetzt wenig um Performance bei ihren Spielen. In der traditionellen Spieleindustrie wird laufend optimiert um das absolut Machbare aus den GPUs etwa herauszuholen. Bei Browsergames müssen wir uns auf anderen Gebieten mit diesem Problem herumschlagen, insbesondere wenn es darum geht schwache Endgeräte, etwa Smartphones oder ein iPad zu unterstützen. Tatsächlich war es unglaublich schwierig, die Aves Engine „iPad-ready“ zu machen, da das iPad in Vergleich zu einem Desktop-System sehr viel langsamer ist. Gleichzeitig ist das aber auch unsere größte Stärke - die Aves Engine ist die einzige Game Engine, die auf mehreren Plattformen, stationär wie mobil, ihre Leistung abruft.



Rocco: Tatsächlich kennen wir kaum Browserspiele, die auf dem iPad spielbar sind. Interessanterweise laufen nicht mal die in Deutschland populären Aufbaustrategiespiele vernünftig, auch wenn diese auf den ersten Blick keine großen technischen Anforderungen im Frontend darstellen.



GalaxyNews: Mit der Aves Engine soll es also auch möglich sein, Browserspiele ohne Performance-Schwierigkeiten auf mobilen Endgeräten zu spielen. Wie gewährleistet ihr diese Plattformunabhängigkeit?



Paul: Wie schon erwähnt ist wohl diese Unabhängigkeit einer der wichtigsten Alleinstellungsmerkmale. Viele neue CSS3-Standards wie CSS Transforms und CSS Animations sind auf Smartphones mit WebKit Browser hardwarebeschleunigt und entlasten den langsamen Prozessor. Ausserdem sind die Auflösungen der kleinen Bildschirme relativ gering – wir müssen also grundsätzlich weniger Inhalte darstellen - aber natürlich können wir auch keine Wunder bewirken. So kann man auf einem iPad derzeit keine 200 Charaktere in einem Bildschirmausschnitt herumlaufen lassen. Hier muss sich irgendwo auch das Gamedesign einschalten: in der Regel macht es einfach keinen Sinn, auf einem kleinen Bildschirm zuviel auf einmal zu machen. Zu guter Letzt mussten wir auch das Problem lösen, dass moderne Smartphones über Touchinterfaces bedient werden und nicht mit Mäusen oder Eingabestiften. Auch hier normalisieren wir so stark, dass man ein und denselben Code verwenden kann und die entsprechenden Klicks automatisch korrekt ausgeführt werden, was die Arbeit für den Programmierer enorm erleichtert. Fast alle Spiele werden also ohne Anpassungen auf vielen Endgeräten laufen.



GalaxyNews: Quasi als Demonstration der Fähigkeiten der Engine entwickelt ihr parallel ein grafisches Social-Network.



Paul: Richtig. Die Aves Community ist unsere Vision einer Social Community wie Facebook, die in Isometrie, also einer spielerischen Umgebung stattfindet. Mein Profil ist mein Haus, und auch alles andere wird grafisch umgesetzt: So hängen meine Flickr-Bilder an der Wand und ein Vogel zwitschert meine Tweets. Im Gegensatz zu anderen virtuellen Welten wie Second Life ist unsere Welt viel mehr „Casual“. Bei Second Life muss ich mich registrieren, dann einen Client herunterladen, um endlich in einem abgeschotteten Programm spielen zu können. Die Aves Community verfolgt hier einen ziemlich innovativen Ansatz. Nach Eingabe der URL befindet sich der Spieler sofort in der Welt – ohne Einstiegsbarrieren. Die Community ist sicher ein Riesenprojekt mit erheblichen Potential und auf jeden Fall das richtige Projekt, um die Power der Aves Engine zu demonstrieren.



Rocco: Die Community kann man praktisch als Referenzprojekt sehen, ähnlich wie FarCry für die Kollegen von Crytek. Sie ist eine Mischung aus Techdemo und echtem Spiel. Paul und ich sind selbst begeisterte Spieler und wir wollen auch etwas Neues schaffen und nicht das hundertste Farmville oder Aufbaustrategiespiel - nur in schön - bauen. Wann die Aves Community aber veröffentlicht wird, steht in den Sternen, das sollte man sicherlich erwähnen. Vor Ende 2011 sehe ich das heute nicht.



GalaxyNews: Wie viel Vorwissen brauche ich als Entwickler effektiv, um mit der Aves Engine ein kleineres Spiel auf die Beine zu stellen?



Paul: Grundsätzlich muss sich ein Entwickler mit dem Open Web Stack auskennen, also fortgeschrittene Kenntnisse von HTML, CSS und JavaScript besitzen. Das Schöne ist, dass man kein Mathematiker oder Physiker mehr sein muss um komplizierte Probleme zu lösen. Als guter Webentwickler hat man alle Möglichkeiten ein tolles Spiel zu bauen, man muss aber kein Guru sein.



Rocco: Man muss vielleicht auch erwähnen, dass zumindestens in der Anfangsphase die Aves Engine für große Studios konzipiert wurde. Wir stellen ziemlich weitreichenden Support, nicht nur online sondern auch in Form von echten Workshops, um die Entwickler möglichst schnell fit zu machen. Die Konzepte muss man natürlich erstmal verstehen, denn diese sind näher an der traditionellen Spieleentwicklung als an Webentwicklung orientiert. Ist man aber einmal im Thema drin, wird man es lieben mit der Aves Engine Spiele zu entwickeln.



GalaxyNews: Browserspiele werden immer größer, schöner, komplizierter. Momentan seid ihr einer der ersten Anbieter einer kommerziellen Browsergames-Engine. Rechnet ihr also schon bald mit einem boomenden Middleware-Markt?



Rocco: Ja, auf alle Fälle. Wir werden sicher nicht die Letzen bleiben, die Middleware im Browsergamesbereich anbieten. Wir sind ja im Grunde genommen auch keineswegs die Ersten, wenn man sich den Gesamtmarkt anschaut, es gibt hier verschiedene Engines oder Serverumgebungen, oft spezialisiert auf flashbasierte Spiele oder bestimmten Genres wie Aufbaustrategie. Klar ist, dass die Browsergamesindustrie mittelfristig gezwungen sein wird, Middleware zu lizensieren oder inhouse ein spezialisiertes und sicher nicht billiges R&D-Team aufzubauen.



Paul: Spätestens wenn die ersten Spiele auf Basis der Aves Engine veröffentlicht werden, wird man sich als Game Studio überlegen müssen wo man investiert, um technisch mithalten zu können. Entweder in absolute Spezialisten, die man ja auch noch langfristig in der Firma halten können muss – oder in Middleware, die auch von normal guten Entwicklern genutzt werden kann.



GalaxyNews: Ihr betont auf eurer Website immer wieder, dass ihr nach wie vor auf der Suche nach Kapitalgebern seid. Wie beurteilt ihr - auch nach einigen Gesprächen in Leipzig - allgemein die Erwartungen der Investoren in die Browsergames-Branche?



Rocco: In Leipzig haben wir uns mit diversen Studios zusammengesetzt, um verschiedene Formen der Zusammenarbeit oder der Lizenzierung zu diskutieren. Wir sprechen allerdings auch mit einigen Investoren im In- und Ausland. Grundsätzlich besteht bei den Gamestudios eine breite Bereitschaft ein fertiges Produkt einzusetzen, was für uns natürlich sehr erfreulich ist. Der Weg zur finalen Aves Engine ist allerdings noch relativ weit und ohne weiteres Kapital nicht  zu schaffen. Deswegen arbeiten wir derzeit an Alternativszenarien, für den Fall dass kein unabhängiges Investment etwa durch einen VC zustande kommt. Auch darüber sprechen wir mit den großen Studios.



Paul: Wir überlegen derzeit sehr genau, welche Partnerschaften uns am Ehesten helfen, so schnell wie möglich die Aves Engine und auch die Community fertig zu stellen. Es geht hier tatsächlich nur zweitrangig um Geld, welches wir natürlich auch brauchen, aber am Ende wollen wir unsere Vision von State-of-the-art-Browserspielen ohne Plugins und einer Community umsetzen.

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