Was wird sich ändern? - Stephan Dreyer über Jugendmedienschutz ab 2011
2011 soll die Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags kommen, insbesondere das Thema Selbstklassifizierung von Onlinegames lässt die Branche dabei aufhorchen. Stephan Dreyer vom Hans-Bredow-Institut hat den Gesetzentwurf in seinem Vortrag auf der Games Convention Online 2010 von allen Seiten beleuchtet . Im Interview fasst er für uns noch ein mal die Änderungen zusammen und erklärt insbesondere, was es mit der Selbstklassifizierung auf sich hat.
GalaxyNews: Am 1.1.2011 tritt die Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) in Kraft. Welche Änderungen bringt sie mit sich?
Stephan Dreyer: Im Prinzip enthält die Novelle keine großen Änderungen. Nach wie vor sieht der Staatsvertrag rechtliche Vorgaben für Anbieter von jugendschutzrelevanten Inhalten im Netz vor. Und nach wie vor müssen diese Anbieter von Telemedien (so bezeichnet der Staatsvertrag Online-Angebote) dafür Sorge tragen, dass für problematisch erachtete Inhalte nur von Personen abgerufen bzw. genutzt werden können, die das entsprechende Alter haben, um mit solchen Inhalten prinzipiell umgehen zu können. Die in der öffentlichen Diskussion teils sehr heiß diskutierte Möglichkeit einer Alterskennzeichnung von Angeboten, wie man sie bereits vom Kino - oder hier vielleicht passender - von Games aus dem Regal kennt, ist eine der neueren Änderungen des Staatsvertrags, der (unter der Bedingung der Ratifizierung durch alle Länderparlamente) am 1. Januar 2011 in Kraft treten soll. Neben der Alterskennzeichnung sieht die Novelle noch einen Pfad vor, die bisherigen Selbstkontrolleinrichtungen aus dem Bereich des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) auch in den Anwendungsbereich des JMStV einzuführen; dies betrifft die USK (Games) sowie die FSK (Kinofilme, DVDs etc.). Der Hauptfokus der Änderungen liegt aber definitiv auf der Ermöglichung funktionierender Jugendschutzprogramme (d.h. nutzerseitige Filtersoftware), die als eine ihrer Grundlagen auf eine möglichst kritische Masse von altersgekennzeichneten Online-Angeboten angewiesen sind.
GalaxyNews: Am interessantesten für Betreiber von Browsergames ist mit Sicherheit die Selbstklassifizierung. Wieso ist dieses Thema von so großer Bedeutung?
Stephan Dreyer: Bisher - d.h. also auch derzeit - unterliegen Anbieter von Browsergames den inhaltlichen Anforderungen des jetzigen JMStV von 2003. Ein Beispiel: Bietet ein Anbieter ein Browsergame an, das etwa Gewalttätigkeiten, erotische Inhalte oder andere jugendschutzrelevante Inhalte enthält, die die Entwicklung von unter 16-Jährigen negativ beeinträchtigen können, so stehen ihm derzeit drei Alternativen offen. Entweder er sieht für Nutzer in Deutschland Zeitbeschränkungen vor, schaltet die Spielserver also nur zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr frei, oder er nutzt technische Mittel, die den Zugang von jüngeren Personen effektiv erschweren, z.B. eine Abfrage der Personalausweiskennziffer. Solche Instrumente sind für die derzeit vorherrschenden Geschäftsmodelle im Browsergames-Markt aber - gelinde gesagt - unattraktiv. Die dritte Möglichkeit wäre auch jetzt schon, das Angebot für ein „anerkanntes Jugendschutzprogramm zu programmieren", also das Angebot derart mit einem elektronischen Hinweis zu versehen, dass Filtersysteme auf der Seite der Endnutzer, die - bei entsprechender Einstellung - den Zugang des Endgeräts zu dem Browsergame unterbinden, etwa bei der Einstellung „Blockiere alle Inhalte, die für Kinder unter 16 Jahren nicht geeignet sind". Das Problem an diesem Instrument: Bisher, d.h. in den letzten 7 Jahren, wurde keines der bestehenden Jugendschutzprogramme anerkannt, diese Option steht also den Anbietern nur in der Theorie offen. Gründe für das bisherige Scheitern einer Anerkennung gibt es viele; ein wichtiger aber ist, dass die erwarteten Erkennungsraten und das entsprechende Underblocking (d.h. das Durchlassen jugendschutzrelevanter Seiten) und Overblocking (d.h. das falsche Blockieren von Angeboten, die prinzipiell geeignet sind) von Angeboten durch die Filterprogramme in der Praxis nicht zu schaffen waren (bzw. sind).
Der neue JMStV will dieses Dilemma auflösen, indem er allen Anbietern von Telemedien ermöglicht, das eigene Angebot mit einem Alterskennzeichen zu versehen. D.h. der Anbieter kennzeichnet sein Angebot mit einem „ab 0 Jahren", „ab 6 Jahren", „ab 12 Jahren", „ab 16 Jahren" oder „ab 18 Jahren" und kann sich dabei in Altersstufen bewegen, die gelernt sind. Die Kennzeichnung muss dabei sowohl optisch mit einem Alterskennzeichen geschehen, als auch elektronisch - damit spätere Jugendschutzprogramme dieses Kennzeichen leicht und unmissverständlich auslesen und auf dieser Informationsgrundlage eine Filterentscheidung treffen können.
Für den Anbieter aus unserem Beispiel oben heißt das auch, dass er bereits mit der optischen wie elektronischen Alterskennzeichnung seine rechtlichen Pflichten aus dem JMStV erfüllt hätte, sobald ein Jugendschutzprogramm existiert. (Nebenbemerkung: Unklar ist bisher leider, ab wann diese Erfüllung eintritt, da sich der Gesetzeswortlaut und die Amtliche Begründung an dieser Stelle erheblich voneinander unterscheiden: Während das Gesetz sagt, dass es ausreicht, sein Angebot für ein geeignetes Jugendschutzprogramm zu programmieren, geht die Begründung davon aus, dass es sich um ein anerkanntes Jugendschutzprogramm handeln muss, für das ein ggf. länger währendes Anerkennungsverfahren durchlaufen werden muss.) Wie auch immer: Für das Geschäftsmodell des Anbieters in unserem Beispiel ist die letztgenannte Variante diejenige, bei der mit den wenigsten „Jugendschutz-Ausfällen" zu rechnen ist und er gleichzeitig ausreichend Rechtssicherheit bezüglich möglicher Aufsichtsmaßnahmen der Medienaufsicht im Jugendschutz erhält.
Der „Clou" an der Sache: Je mehr Angebote auf diese Art und Weise gekennzeichnet sind, desto effektiver können die Jugendschutzprogramme arbeiten - ein Anreizsystem für alle Seiten, da sowohl die Anbieter von Telemedien und Anbieter von Jugendschutzprogrammen davon profitieren, als auch die Eltern, die die entsprechende Software auf dem Endgerät zu Hause einrichten.
GalaxyNews: Ist man als Anbieter eines Browsergames verpflichtet, von der Selbstklassifizierung Gebrauch zu machen?
Stephan Dreyer: Nein, die Alterskennzeichnung erfolgt freiwillig. Aber die Alternative der Kennzeichnung ist insbesondere für Inhalte, die nur für Kinder über 12 Jahre geeignet sind, die interessanteste Variante.
In der öffentlichen Diskussion ist in Bezug auf die Freiwilligkeit die Frage daneben aufgeworfen worden, ob eine Nicht-Kennzeichnung von Online-Angeboten zur Folge hat, dass Jugendschutzprogramme diese Inhalte dann komplett rausfiltern. In der Tat hat diese Überlegung ihre Berechtigung, denn würde es zu einer derartigen Ausfilterung kommen, und würde eine kritische Masse solcher Filterprogramme eingesetzt werden, käme dies einer verfassungsrechtlich relevanten zensurähnlichen Situation gleich. Für unser Beispiel hieße dies, dass ein ungekennzeichnetes ab16er-Spiel auch von den 16- und 17-jährigen Nutzern nicht gespielt werden könnte. Dennoch: Im Staatsvertrag steht weder, dass ungekennzeichnete Inhalte automatisch ein „ab 18 Jahren" erhalten; noch steht in den rechtlichen Vorgaben, dass Jugendschutzprogramme nicht über automatische Erkennungs- und Einstufungsalgorithmen verfügen dürfen, welche ungekennzeichnete Online-Inhalte in Altersgruppen einordnen können. Mit dem „Stand der Technik", den diese Jugendschutzprogramme erfüllen müssen, werden derartige Verfahren sicherlich auch Berücksichtigung finden können.
GalaxyNews: Welche Möglichkeiten zur Selbstklassifizierung durch den Betreiber gibt es und wie laufen diese ab?
Stephan Dreyer: Da sieht das neue Recht eine ganze Batterie an Möglichkeiten vor: Zum einen kann jeder Anbieter sein Angebot selbst kennzeichnen. Dies ist allerdings gleichzeitig die rechtlich unsicherste Methode, da Aufsichtsmaßnahmen durch die zuständigen Selbstkontrolleinrichtungen und Landesmedienanstalten nicht ausgeschlossen sind.
Daneben haben mehrere Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle sogenannte „Klassifizierungssysteme" angekündigt. Das sind im Prinzip Assistenzsysteme, bei denen man per Multiple-Choice-Verfahren einen Fragebogen im Hinblick auf das eigene Angebote beantwortet und am Ende eine Altersstufe ausgegeben bekommt - die kann man dann optisch und elektronisch in sein Angebot einbauen. Hier können zwar noch Aufsichtsmaßnahmen (namentlich: Beanstandungen und Untersagungsverfügungen) gegen den Anbieter ergehen, bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeitsverfahren sind dagegen ausgeschlossen, solange der Anbieter beim Ausfüllen der Assistenten keine falsche Angaben gemacht hat und das Ergebnis dokumentiert ist.
Dann gibt es die Variante, in der eine Selbstkontrolleinrichtung eine Selbsteinstufung oder das Ergebnis des Assistenzsystems konkret überprüft oder das Angebot gleich komplett selbst prüft und entsprechend kennzeichnet. In diesen Fällen öffnet sich die „Schutzschildwirkung" einer solchen Selbstkontrolleinrichtung, d.h. staatliche Maßnahmen gegen den Anbieter direkt sind in der Regel ausgeschlossen. Eine Ausnahme bilden die Fälle, in denen die Selbstkontrolle ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat.
Als oberstes Level - praktisch der Boss-Level - sieht der neue Staatsvertrag die Möglichkeit vor, dass die KJM (Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten) die von einer Selbstkontrolleinrichtung geprüften bzw. vergebenen Kennzeichen ihrerseits überprüft und bestätigt. Eine solche Bestätigung hätte neben der Tatsache, dass man mit einem behördlichen Verwaltungsakt praktisch absolute Rechtssicherheit hat, zur Folge, dass man das entsprechende Alterskennzeichen auch auf ggf. später anfallende Trägermedien (DVD-Auswertung in Zeitschrift, Retail-Version etc.) drucken darf. Für diesen Bereich wären ansonsten eigentlich die Obersten Landesjugendbehörden der Länder in Zusammenarbeit mit der USK sowie der FSK zuständig.
Welches dieser Verfahren man auch immer für sein Angebot wählt: Das resultierende Alterskennzeichen muss neben der Altersstufe deutlich auch den Hinweis auf die jeweils bewertende Stelle tragen - dies ist der Punkt, auf der auch Vertrauen von Nutzern in den jeweiligen bewertenden Akteur eine erhebliche Rolle spielt.
GalaxyNews: Ist das Verfahren mit irgendwelchen Kosten verbunden?
Stephan Dreyer: Dazu kann ich als Wissenschaftler nichts abschließenden sagen. Es gibt Hinweise darauf, dass bei den Assistenzsystemen der Selbstkontrolleinrichtungen zwischen privaten bzw. unkommerziellen Anbietern auf der einen Seite und kommerziellen bzw. gewerblichen Angeboten auf der anderen Seite unterschieden werden könnte. Für die unternehmerischen Angebote könnte ein Entgelt insoweit im Bereich des Möglichen liegen.
Für die „manuellen" Bewertungen durch die Selbstkontrolleinrichtungen und die KJM gibt es dagegen keinen Zweifel: Arbeit - in diesem Fall Begutachtungsarbeit - von Menschen ist unabhängig von der Art des Angebots immer mit Kosten für den Anbieter verbunden.
GalaxyNews: Vielen Dank für das Interview!
Stephan Dreyer (geb. 1975) studierte Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg. Seit Februar 2002 ist der Diplom-Jurist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hans-Bredow-Institut tätig. Sein Forschungsinteresse gilt dem Recht der neuen Medien sowie Online- und Verbreitungsplattformen. Ein Tätigkeitsschwerpunkt am Institut ist dabei der Jugendschutz. |