Browserspielentwicklung: Teil 1 - Planung
Über den Status einer vorübergehenden Erscheinung in der Spielewelt sind Browserspiele längst hinausgewachsen. Gelungene Umsetzungen bereichern insbesondere das Genre der strategischen Multiplayer-Spiele. Das Interesse der Community an neuen Konzepten und Einblicken in die Realisierung ist ungebrochen. Das Entwicklerteam des Browserspiels Spacetale, möchte in fünf Erfahrungsberichten das Vorgehen von der ersten Idee bis zum fertigen Spiel vorstellen.
Unten stehende Tabelle gibt einen kurzen Überblick über Struktur und Inhalt der Serie. Dieser erste Artikel soll einen Einblick in die Vielfalt der Fragestellungen geben, mit denen sich die Entwickler eines Browserspiels beschäftigen müssen.
Zunächst muss das Projekt gut geplant werden. In der ersten Phase werden die Weichen für die zukünftige Arbeit gestellt, daher muss Wert auf gründliches Vorgehen gelegt werden. Die Wichtigkeit der zweiten Phase zweifelt wohl niemand an. Ohne eine ansprechend verpackte, begeisternde Spielstruktur und ohne eine flüssig laufende, technische Umsetzung lockt man heutzutage keine Spieler mehr hinter dem Ofen hervor. Die dritte Phase – die Implementierung – beinhaltet die wesentlichen Schritte zur Realisierung des in Phase 2 erstellten Designkonzepts. Wenn das Spiel fertig ist muss dafür gesorgt werden, dass es auch gespielt werden kann und dass die Spieler ihre aufgewendete Zeit bestmöglich genießen. Die vierte und fünfte Phase beschreiben deshalb, worauf geachtet werden muss, wenn das Spiel schließlich online geht.
Teil 1 – Planung
"Die sechs Phasen der Planung: Erstens, Begeisterung. Zweitens, Verwirrung. Drittens, Ernüchterung. Viertens, Suche nach dem Schuldigen. Fünftens, Bestrafung der Unschuldigen. Sechstens, Auszeichnung der Nichtbeteiligten." (http://www.zitate.de)
Recherche – Die Suche nach der Spielspaßnadel im Browserspielhaufen
Aller Anfang ist nicht unbedingt schwer, selten aber überschaubar. Unser erster Schritt war deshalb mit einer umfassenden Recherche verbunden. Zum einen richteten wir unseren Fokus auf Zahlen – wir brauchten Maßstäbe, an denen wir unser Konzept in jeder Entwicklungsphase messen konnten. Wir untersuchten zum Beispiel, welche Browserspiele es mit mehr als 10.000 regelmäßigen Spielern gibt, welche die bedeutenden Firmen in der Browserspielszene sind, wie viele Personen an der Entwicklung beteiligt sind und wie die Spiele finanziert werden.
Zum anderen interessierten wir uns für jene schwer messbaren Daten, die die belegbar erfolgreichen Spiele zu dem machen, was sie sind. Was macht Spielspaß aus? Wie kann man sich in der Branche von der Konkurrenz abheben?
Wir gingen von Ogame als dem bis dato erfolgreichstem Browserspiel aus und überprüften, welche anderen Games mit ähnlichem Spielprinzip innovative Elemente einbringen. Travian, zum Beispiel, baut auf dem Ogame-Prinzip (d.h. Basis ausbauen, Ressourcen sammeln, Einheiten rekrutieren und Gegner überfallen) auf. Das Genre und die grafische Präsentation sind aber so verschieden, dass auch eine andere, bisher kaum angesprochene Zielgruppe erreicht wird.
Für uns war klar, dass Spacetale kein überflüssiger Ogame-Klon werden sollte. Ebenso wenig erstrebenswert erschien uns ein Spiel, dessen SciFi-Atmosphäre nur aus dem Titel, und nicht aus einer stimmungsvollen Spielwelt, erwächst.
Der Analyseaufwand sollte uns letztendlich ein Spielkonzept bescheren – ein solider Ausgangspunkt, der dazu in der Lage ist, möglichst viele Spieler in den siebten Spielspaßhimmel zu katapultieren. Wir entdeckten ein solches Konzept für uns im Szenario eines draufgängerischen Weltraumhändlers. Bekannte Vertreter dieses Spielprinzips sind Elite, Freelancer, X2 und Eve Online – oder Galactic Tales, um auch ein Browserspiel zu nennen. Fakt ist, dass es im deutschsprachigen Raum nur sehr wenige Browserspiele gibt, die sich dieses Spielkonzept zu Eigen machen.
Finanzierung – Abzocken oder draufzahlen oder...
Die wichtigste Lektion nach der Orientierung auf dem Browserspielmarkt: Es kann nur ein Spiel erfolgreich sein, das wirklich dauerhaften Spielspaß bringt und sich nicht als reine Abzocke herausstellt.
Das mag wie eine Selbstverständlichkeit klingen – wir stießen aber beispielsweise auf Spiele, die bares Geld als Ressource in ihr Spielprinzip einbinden. Wer mehr zahlt, erkauft sich Vorteile im Spiel. Natürlich schaffen es solche Spiele nicht unbedingt in die Top Fünf der Browsergames. Und ebenso wenig haben es diese Konzepte in den Kreis der Möglichkeiten geschafft, die von uns in Betracht gezogen wurden.
Daraus ergaben sich für uns zweierlei Fragen: Erstens, die Frage nach der Finanzierung des Spiels und zweitens, die Frage, wie man sich von der Konkurrenz abheben will. Soll das Spiel also durch Werbung oder monatliche Gebühren finanziert werden? Zu viele Werbebanner würden die Spieler zwangsläufig abschrecken – zu wenige würde das Spiel nicht am Leben erhalten, ohne dass ständig drauf gezahlt werden müsste. Die Alternative – das Spiel alleine über Gebühren zu tragen – würde die meisten Spieler abschrecken und somit einer Spielwelt im Wege stehen, die durch eine breite Community belebt wird. Es musste also nach der goldenen Mitte und damit nach Möglichkeiten gesucht werden, Banner so einzubinden, dass sie den Spielablauf und das gestalterische Konzept nicht wesentlich stören bzw. soweit wie möglich gestaltungsschonend integriert sind. Für Spieler, die bei Spacetale gänzlich unbeworben bleiben wollen, werden kostenpflichtige Premiumaccounts angeboten.
Auf diese Weise befanden wir uns zumindest schon einmal auf der Seite der seriösen Browserspiele. Um Spacetale aber deutlicher von anderen Spielen abzuheben, musste noch ein Schritt weiter gegangen werden. Ein Kernproblem bei einigen Browserspielen ist unserer Meinung nach, dass ein Spieler seinen Schlaf opfern muss, um sicher zu sein, dass er nachts nicht von anderen Spielern angegriffen wird. Dies haben wir in Spacetale konzeptionell berücksichtigt. Daneben setzen wir auf umfassenden Support, auf Einsteigerfreundlichkeit sowie eine stimmungsvolle Spielwelt. Spacetale wird über eine sehr gute Anleitung und intuitive Struktur verfügen, so dass den Spielern keine Hürden für den Spielspaß in den Weg gestellt werden.
Team – Die Suche nach dem wortgewandten Businessinformatikdesigner
Nun ging es daran, möglichst schnell mit der Arbeit zu beginnen. Mithilfe der Antworten, die wir zum Thema Spielkonzept und Finanzierung gefunden hatten, erstellten wir einen groben Aufgabenkatalog. Aus den verschiedenen Aufgabenbereichen – Weboberfläche, Implementierung und Spieldesign – ergaben sich die benötigten Qualifikationen. Dabei gestaltete es sich schwierig, geeignete Leute zu finden. Grundsätzlich wollen sich viele in irgendeiner Art und Weise an dem Projekt beteiligen. Wenn es dann aber an die Arbeit geht, wird nur wenig oder gar nichts beigetragen.
Auf die Stellenausschreibungen in den einschlägigen Foren erhielten wir teilweise bedenkliche Bewerbungen. Da bewarb sich beispielsweise jemand um den Posten eines Texters in unserem Team mit einer E-Mail ohne Betreff, aber dafür mit folgendem Inhalt: "suchst du noch ejamnden?" (sic!).
Ein Bewerber für das Webdesign forderte 40 Euro Stundenlohn. Ein anderer Grafiker – nebenbei bemerkt ebenso qualifiziert wie Ersterer – wollte hingegen ehrenamtlich mitarbeiten. Dafür konnte sich dieser nach zwei Wochen nicht mehr daran erinnern, dass er sich bei uns beworben hatte.
Nach vielen Stellenausschreibungen und nach Aufwendung von noch mehr Geduld hatten wir es schließlich geschafft, einen harten Kern aus neun Team-Mitgliedern zu bilden. Nun ging es daran, eine Kommunikationsplattform einzurichten.
Kommunikation – Kein Werk ohne Netzwerk
Es muss möglich sein, sich von Hamburg bis München und von Dresden bis Düsseldorf ohne Zeitverzögerung verständigen zu können. Obendrein sollte ein dauerhafter schriftlicher Bestand des Kommunikationsverlaufs gewährleistet sein. Daher ist ein E-Mail-Verteiler oft sinnvoller als ein Telefonat. Selbstverständlich gilt das auch in punkto Kommunikationsökonomie – es ist günstiger, eine einzelne E-Mail an das ganze Team zu schreiben, anstatt sich auf eine einwöchige telefonische Rundrufaktion einzurichten.
Wobei sowohl das Telefon ebenso Vorteile wie die E-Mail-Kommunikation Nachteile hat. Für sehr dringende Angelegenheiten ist das Telefon nicht wegzudenken. E-Mails werden hingegen genau dann zur Last, wenn niemand es für notwendig hält, sich eine inhaltsschwere Betreffszeile auszudenken. Begleitend müssen also Kommunikationsrichtlinien festgelegt werden, damit es nicht zu unnötigen Missverständnissen kommt.
Als Grundstein für die teaminterne Kommunikation wählten wir das Programm eGroupware. Das Portal bietet neben einem E-Mail-Verteiler eine "Aufgaben"-Funktion. Jedes Teammitglied kann ein anderes mit einer bestimmten Arbeit betrauen, die etwa für das eigene Voranschreiten vonnöten ist. Außerdem verfügt eGroupware über eine Fehlerverwaltung. Hier werden alle Fehler eingetragen, die im Laufe der Arbeit am Projekt deutlich werden. Je nach Fehlerschwere bekommen sie eine Priorität zugewiesen. So können die auffälligsten Fehler nach und nach ausgemerzt werden. Regelmäßige persönliche Teamtreffen mit dem vollzählig versammelten Team kann eGroupware dennoch nicht ersetzen.
Tools – Warum man Nägel nicht mit der Faust in die Wand schlägt
Wenn erst einmal die Möglichkeit vorhanden ist, Aufgaben zu verteilen, wird ein Tool benötigt, mit dessen Hilfe die Aufgaben und Ressourcen koordiniert werden können. Eine anschauliche Möglichkeit das Projekt im Überblick darzustellen, sind Gantt-Diagramme. Hier werden auf einer übergeordneten Zeitleiste die Aufgaben, das benötigte Personal und die geschätzte Dauer bis zum Abschluss in Form von Balken dargestellt. So ist es möglich, auf einen Blick zu erkennen, wann eine neue Aufgabe, die von einer zuvor begonnenen abhängt, angegangen werden kann. Um Spacetale zu kontrollieren, benutzen wir das kostenfreie Programm Planner.
Ein weiteres wichtiges Werkzeug ist die Versionsverwaltung – in unserem Fall Subversion. In der Versionsverwaltung befinden sich alle Projekt-Dateien. Diese sind auf einem Server gespeichert, der von allen Teammitgliedern über das Internet erreichbar ist. Wird ein Kapitel bearbeitet und geändert, werden die Änderungen als neue Version der Datei abgespeichert. Es ist mehreren Personen gleichzeitig möglich, Veränderungen an einem Dokument vorzunehmen. Zu einem Konflikt kommt es dabei nur, wenn zeitgleich versucht wird, denselben Teil einer Datei zu bearbeiten.
Im Idealfall lädt man sich am Morgen die neueste Version der Datei herunter und überfliegt, welche Änderungen die Kollegen vorgenommen haben. Dies ersieht man aus deren beigefügten Kommentaren. Für die Programmierer ist von zentraler Bedeutung, dass nur lauffähiger Programmcode in die Versionsverwaltung übertragen wird. Bei fehlerhaftem Code ist selbst die beste Verwaltung unnütz.
Nachdem wir uns in den Details der Recherche verloren, den Zwängen der Finanzierungsfrage unterworfen und die richtige organisatorische Struktur in Team und Projekt gebracht hatten, kehrten wir bald der grauen Theorie den Rücken zu und machten uns auf den Weg in den Weltraum.
Wie entsteht Spieltiefe? Der nächste Artikel dreht sich um alle Fragen des Spiel- und technischen Designs. Außerdem verraten wir mehr über den Look und die Innereien von Spacetale.
Literaturempfehlungen
Als (Browser-)Spieleentwickler ist es sinnvoll, auf die Kenntnisse anderer Entwickler zurückzugreifen und von deren Erfahrungen zu profitieren. Auch wir von Spacetale haben diesen Rat beherzigt und einige Bücher und Webseiten zur Hilfe genommen. Die wichtigsten davon stellen wir euch hier kurz vor:
- Browserspielmagazine
Browserspielmagazine wie zum Beispiel Galaxy-News, Browsergames 24 und GamesDynamite bieten neben einer Browserspielübersicht auch Foren, in denen wir nützliche Informationen zur Browserspielentwicklung gefunden haben.
- Browsergame Developers Forum
Das Forum der Browsergame Developer Conference wurde im September 2005 gestartet. Diese Plattform bedient speziell den Informationsbedarf von Browserspielentwicklern.
- Gamasutra (Englisch)
Gamasutra
hält eine umfassende Sammlung von Artikeln zur Spieleentwicklung bereit. Die Webseite richtet sich aber nicht ausschließlich an Browserspielentwickler, sondern vielmehr an Computerspieleentwickler im weiteren Sinn. Grundlegende Informationen zum Thema Spieldesign und Projektmanagement sind jedoch natürlich auch für Browserspiele relevant und interessant.
- IGDA (Englisch)
Die International Game Developers Association ist eine internationale Organisation zur Förderung der Computerspielentwicklung. Auf der Webseite finden sich so genannte White Papers, die für bestimmte Spielekategorien — auch Browser- und Onlinespiele — umfassende Markt- und Technologieanalysen enthalten. Die IGDA hat auch in Deutschland lokale Gruppen (Chapters), die sich regelmäßig zu Stammtischen und Meetings zusammenfinden.
- Developing Online Games (Englisch)
Das Buch Developing Online Games von Jessica Mulligan und Bridgette Patrovsky ermöglicht einen Überblick über die Planung und Organisation eines großen grafischen Onlinespiels. Auch wenn einige der Themen für einen Hobby-Browserspielprogrammierer nicht relevant erscheinen, beschreibt das Buch doch zahlreiche grundlegende Aspekte, die von der Größe des Spiels unabhängig sind.