Wird "OnLive" die Browsergames-Entwickler umhauen oder wachrütteln?
Auf der Game Developers Conference Mitte März wurde von einer bis dato unbekannten amerikanischen Firma eine Innovation vorgestellt, die das Zeug hat, die gesamte Spielebranche von Grund auf umzuwälzen. 7 Jahre Entwicklungsdauer und die Unterstützung großer Spieleproduzenten wie Electronic Arts, THQ und Ubisoft zeigen: Die Betreiber meinen es richtig ernst. Und eines der größten Opfer dieser gigantischen Entwicklung könnten neben den Konsolen- und Hardwareherstellern unter Umständen die Browsergames sein.
Die technische Idee schwebt schon länger in den Köpfen findiger Visionäre und lässt sich am besten mit dem Begriff Cloud Computing umschreiben. Im Klartext heißt das: Der PC des einzelnen Spielers führt die Berechnungen nicht mehr selber aus, sondern holt sich alle Daten unmittelbar von den Großrechnern des nächsten OnLive-Rechenzentrums. Die Input-Daten, also die verschiedenen Tastendrücke, werden dann wiederum zum Rechenzentrum geschickt, dort verarbeitet und der Video-Output, also das letztendliche Erscheinungsbild auf dem Bildschirm, wird zurück an den Empfänger-PC gesendet. Zum Empfang via Browser-Widget genügen bereits die billigsten Desktop-PCs oder Netbooks – einzige Voraussetzung ist eine Breitbandverbindung mit einer Übertragungsrate von mindestens 1,5 Mbit/s für Wii-ähnliche Grafikqualität und bis zu 5 Mbit/s für maximale Auflösungen. Außerdem soll eine OnLive-Konsole auf den Markt kommen, die sich trotz minimaler Hardware perfekt als Empfänger eignet und preislich günstiger als die meisten derzeitigen Konsolen abschneidet. In den USA wird das ganze Spektakel schon im Herbst diesen Jahres durchstarten, wir Europäer werden uns vermutlich auch nicht mehr lange gedulden müssen.
Doch was wird das alles nun auf andere Marktsegmente für Auswirkungen haben? Zuerst einmal wären da natürlich die Konsolenhersteller. Konsolen wie die Xbox 360 oder die Playstation 3 werden angesichts der geringen Hardwarevoraussetzungen der OnLive-Technologie wohl schon bald stark an Bedeutung verlieren, zumal die Grafikqualität der riesigen Rechenzentren jede herkömmliche Konsolenleistung um Längen schlägt. Ist hiermit das Ende der Konsolen eingeläutet? Schwer zu sagen. Gefragt sein werden nun allerdings vor allem innovative Konzepte wie Nintendos Wii, um dem Spieler auch weiterhin etwas zu bieten, was ihm sein PC oder die simple OnLive MicroConsole nicht ohne weiteres bieten können.
Ebenfalls auf einiges gefasst machen müssen sich die Hersteller moderner High-Tech-Grafikkarten und Prozessoren. Da die OnLive-Technologie praktisch auf den einfachsten Rechnern läuft, muss der leidenschaftliche Gamer nicht mehr alle paar Jahre ein Heidengeld für neue Hardware ausgeben – stattdessen kümmert sich OnLive selber um die Aktualität und Instandhaltung der Rechenzentren-Hardware. Inwiefern sich der Markt an diese Umorientierung der Spieleindustrie anpassen kann, muss und wird sich zeigen.
Ein großer Vorteil für die Spieleentwickler ergibt sich durch die neue Technologie übrigens vor allem im Bereich des Kopierschutzes. Ein Spiel, dass nie ganz heruntergeladen wird, kann auch nicht illegal kopiert werden. Auch Abo-Vertrieb und Kundenbetreuung würden um ein Vielfaches erleichtert. Ganz zu schweigen von der Plattformunabhängigkeit – Grafikfeuerwerke sind mit angepasstem OnLive-Client bald auch für Linux- und Macuser nicht mehr unerreichbar. Wird das Betriebssystem bezüglich PC-Spielen schon bald überhaupt keine Rolle mehr spielen? Eine erfreuliche Entwicklung wäre es allemal.
Doch nun zum Hauptkonkurrent Browsergames: Das Alleinstellungsmerkmal der Plattformunabhängigkeit und der fehlende Zwang, Daten auf dem PC zu installieren, werden sich schon bald auf fast jeden Vollpreis-Titel übertragen lassen. Wer spielt denn dann noch vergleichsweise unterentwickelte Browsergames? Neben den Spielern, die im Büro oder Internetcafé keine Möglichkeit haben, den OnLive-Client zu installieren, wird es in der Tat zuerst einmal wenige geben, die weiterhin die halbstarken Grafik-“Innovationen“ moderner Browserspiele favoritisieren. Wie kann die Browsergamesszene da bloß ungeschwächt bestehen bleiben?
Die Lösung ist wohl so einfach wie einleuchtend: Back to the Roots! Erst wenn die Entwickler einsehen, dass ein Wettrennen um die coolsten 3D-Grafiken im Vergleich zu den OnLive-Games einfach nur lächerlich ist und der Charme eines Browsergames oftmals in ganz anderen Punkten liegt, werden wieder wirklich innovative Projekte entstehen, die den Spielern auch tatsächlich Spaß machen. Auch (oder gerade) übermächtige Konkurrenz belebt das Geschäft. Und Browserspiele sind kein Fast-Food für zwischendurch, sondern müssen auf der Zunge zergehen. Gepaart mit tollen Communities und aktiver Weiterentwicklung werden sie bestehen, so lange es das Internet gibt!